Ich liebe es, mit den Kindern und Jugendlichen unseres Shelter108-Hostels kreative Projekte zu machen. Unser gestriger Tag war den Dreharbeiten zu ihrem ersten kleinen Musik-Video gewidmet.
Musik spielt eine große Rolle in unserem Hostel. Jedes Kind, jeder Jugendliche lernt ein Musikinstrument. Und natürlich lieben sie es, die Lieder ihrer Heimat zu singen.
Doch bei aller Wertschätzung für das Traditionelle sind auch sie ganz normale Jugendliche und brauchen ihre Popsogs und Raps … die all die Geschichten von frischer Liebe und dem dazugehörigen Kummer erzählen.
Im Vorfeld meiner Abreise kontaktierte mich eine Bekannte:
‚Ich bin zur selben Zeit in Kathmandu wie Du!‘ schrieb sie mir: ‚Mein Freund kommt auch mit. Er ist Kameramann. Habt Ihr Bedarf?’
Was für ein Geschenk!
Denn was viele von Euch vielleicht nicht wissen: Ich habe zwar zahlreiche Dokumentationen gedreht, aber stets in Funktion als Drehbuchautorin und Regisseurin. Die Kamera-Arbeit habe ich stets den Technik-Profis überlassen.
Und so einen Profi bekamen wir gestern geschenkt.
Wir fuhren also mit dem Bus zu einem großen öffentlichen Park namens Godwara, 50 Minuten außerhalb von Kathmandu. Ich wollte unseren Ausflug auch nutzen, um mir ein Bild über das Hochwasser machen, das Kathmandu vor 14 Tagen heimgesucht hatte.
In unseren Medien waren die Überschwemmungen so flächendeckend dargestellt worden, dass ich kurz vor meiner Abreise besorgte Nachrichten von Freunden kommen hatte: ‚Lebst Du noch? Bist Du schon in Kathmandu? Dort kann doch gar nichts mehr landen!…‘
Beim Landeanflug auf Kathmandu konnte ich aus der Luft keinerlei Flutschäden ausmachen. Als wir jedoch durch das betroffene Gebiet aus Kathmandu heraus fuhren, sahen wir immer wieder ausgeschwemmte Flussufer und zahlreiche Bäume, die vom Wasser mitgerissen worden waren.
Schließlich endete unsere Busfahrt vor einer kleinen Brücke, die wegen Aufräum-Arbeiten verkeilter Bäume gesperrt war. Also setzten wir unsere Reise mit all dem Gepäck, den Instrumenten, den Kochsachen für unser Picknick und dem Kamera-Equipment zu Fuß weiter … Beschädigte Häuser oder Hütten sahen wir keine. Zumindest nicht auf unserem Weg.
Der Tag verlief trotz des ungeplantes Fußmarsches perfekt. Ein ehemaliger Hostel-Student, der nun Gastronomie studiert, zauberte uns nach Ankunft auf einer großen Wiese am Rande eines vor Feuchtigkeit dampfenden Waldes ein perfektes Catering für unsere Dreharbeiten. Alle waren sehr aufgeregt. Denn zunächst drehten wir mit jedem einzelnen unserer Schützlinge ein kleines Mini-Interview für ihre Paten und Patinnen ...
Interviews mit tibetischen Kindern zu machen, ist gar nicht so einfach. Tibetische Kinder - speziell jene aus den Bergen haben kein so ausgeprägtes, individualisiertes ‚Ich-Gefühl‘. Unsere Dolpo-Kinder empfinden sich eher als Gruppe, denn als Individuum. Sich auszudrücken, sich mitzuteilen - und das vor laufender Kamera - ist eine große Herausforderung für sie. Hinzu kommt die sprachliche Hürde: In ihren Heimatdörfern haben sie bis zum 12. Lebensjahr nur Tibetisch gesprochen.
In Kathmandu angekommen, mussten sie sehr schnell Englisch und Hindi ‚nachlernen‘. Und so war jedes einzelne Interview eine kleine Geburt.
Doch hinterher waren sie alle sehr glücklich und aufgeregt, weil sie sich etwas ganz Neues getraut haben. Vor allem bei den Mädchen freut es mich, wenn sie lernen, aus sich heraus zu gehen, den Leistungsdruck abzulegen und vor allem die Angst zu versagen … Ich glaube, wir alle kennen das.
Als sie dann in ihren traditionellen Kleidern wieder als Gruppe für unser kleines Musikvideo vor der Kamera standen, war schließlich jede Scheu verloren.
Und sie sangen und wogten wie der kleine See, in deren Mitte sie über das Paradies ihrer Heimat im Himalaya sangen … Ihr dürft Euch also alle über ein kleines musikalisches Geschenk zu Weihnachten freuen! Aber es gibt noch mehr, was ich Euch aus unserem Hostel mitbringen werde. Dazu morgen mehr...
Tashi Delek! Glück und Segen!
Eure Maria

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