Ich bin bewegt und überwältigt. Bereits von meinen ersten Stunden in Kathmandu...
Nach einer reichlich verspäteten Ankunft (unsere ‚Hostel-Eltern‘ Karma und Dawa hatten zwei Stunden auf mich gewartet) wurde ich schließlich gestern Abend noch von 'unseren' Shelter108-Kindern und Jugendlichen mit weißen Kathas (Tibetische Gebets-Schals) in unserem Hostel in Kathmandu empfangen.
Der Abend dauerte lange. Es gab so viel erzählen! Einige neue Kinder sind in unser Hostel gekommen, andere sind in ihre weiterführenden Ausbildungen weiter ‚geflogen‘ - stehen aber immer noch in enger Anbindung an unser Hostel.
Denn wir unterstützen unsere Schützlinge bis zum Ende ihrer Berufsausbildung.
Heute - zum eigentlichen Start dieses Blogs möchte ich Euch über die Hintergründe unseres Hostels erzählen. Vor allem für jene, die unseren Verein Shelter108 e.V. noch nicht kennen...
In den Jahren 2000 bis 2007 dokumentierte ich immer wieder für das ZDF und ARTE die damals noch hoch aktuellen Fluchtbewegungen aus Tibet.
Auch habe ich einige Bücher zu meinen Erlebnissen im Himalaya geschrieben.
Diese künstlerische Arbeit entfachte eine große Welle an Hilfsbereitschaft für das Tibetische Exil, die ich bis zum Jahre 2007 an andere Tibet-Vereine weiter leitete.
2007 gab es schließlich ein einscheidendes Erlebnis: Eine Frau aus dem Raum Frankfurt hatte mit ihrem Verscheiden aus dieser physischen Welt den Wunsch geäußert, ihr verbliebenes Geld tibetischen Kindern in Indien und Nepal zu Gute kommen zu lassen. Anlass dazu war die Lektüre meines Buches Flucht über den Himalaya, das ihre Geschwister bei ihr fanden. Es war wohl ihre letzte Lektüre gewesen. Deshalb kontaktierten sie mich.
Mir war der Auftrag sofort klar: Es war Zeit, einen eigenen Verein zu gründen.
So wurde Shelter108 e.V. aus der Taufe gehoben.
Im gleichen Jahr brach ich erneut in den Himalaya auf, nachdem eine junge tibetische Nonne bei ihrer Flucht über den Nangpa-la Pass von einer chinesischen Grenzpatrouille vor laufender Kamera eines Bergsteigers erschossen wurde.
Diese schockierenden Bilder gingen damals um die ganze Welt. Und ich wusste: Diesen Image-Verlust würden die chinesischen Behörden mit noch strengeren Grenzkontrollen zu kompensieren versuchen.
So kam es auch. Dem tragischen Geschehen an der tibetischen Grenze folgten 2008 die großen Aufstände in Tibet, die höchst brutal von der chinesischen Regierung niedergeschlagen wurden. Seither werden die Pässe zu Nepal so stark bewacht, dass nur noch vereinzelt Flüchtlinge aus Tibet über Grenze kommen.
Denn jeder Flüchtling, der einst über den Himalaya kam - ob Frau, ob Mann, ob Kind oder Jugendlicher, ob Nonne, Mönch, Bauer oder Nomade - trug eine Geschichte mit sich, die von Unterdrückung, Gewalt und Repressionen seitens der Besatzer erzählte. Die Zeit der großen Fluchtkarawanen war also vorbei.
Da ich in der Flüchtlings-Thematik nicht mehr viel ausrichten konnte, schlug mir der Leiter des damaligen Flüchtling-Auffanglagers vor, mich der Kinder der ethnischen Tibeter und Tibeterinnen der entlegenen Dolpo-Region anzunehmen.
Die Tibeter und Tibeterinnen der Dolpo-Region leben auf nepalesischem Gebiet direkt an der Grenze zu Tibet - in einer wunderschönen, wenn auch sehr kargen Landschaft und in einer Höhe von über 3600 Metern. Weder die nepalesische Regierung fühlte sich damals verantwortlich für sie, noch die Einrichtungen des tibetischen Exils. Es also keinerlei Versorgungs-Strukturen für dieses spezielle Völkchen, das bis heute in unverfälschter Anbindung an die tibetische Kultur, Sprache und Religion lebt.
Die Deutsche Tibet-Aktivistin Adelheid Dönges hatte im Dorf Saldang bereits mit Unterstützung der Freunde Nepals e.V. eine Grundschule aufgebaut, sodass die Kinder dieser Region zumindest bis zur 6. Klasse eine Ausbildung bekamen.
Doch was sollte mit den Kindern und Jugendlichen geschehen, die mehr lernen wollten? Und auch das Talent dazu hatten?
Mit dieser Frage war die Idee zu unserem Dolpo-Hostel geboren, die mit der Gründung unseres Vereins Shelter108 e.V. zusammen fiel.
Dank der großartigen Unterstützung meines guten Freundes Christian Gatniejewski, der mich bei zwei sehr gefährlichen Grenzgängen als Fotograf und Rettungs-Sanitäter begleitet hatte, konnten wir einen geeigneten Kooperations-Partner vor Ort in Kathmandu finden:
Karma Samdup hatte sieben Jahre als Lehrer in der Grundschule von Saldang gearbeitet und suchte nach dieser besonderen Zeit 'am Ende der Welt' nach einer neuen Aufgabe. Unsere Idee, für seine Schützlinge aus dem Dolpo eine weiterführende Einrichtung in Kathmandu zu gründen, begeisterte ihn.
Schnell fand sich ein geeignetes Haus in Boudhanat, dem tibetischen Viertel von Kathmandu. Wenige Wochen später holte Karma bereits unsere ersten Hostel-Studenten und Studentinnen von den Bergen herab.
Karma und ich waren uns in allen wichtigen Punkten einig: Für diese besonderen Kinder und Jugendlichen musste ein Umfeld geschaffen werden, in dem sie mit ihrer Sprache, ihrer Kultur, ihrer Religion und ihren Bräuchen eng vertraut bleiben - und sich gleichzeitig intellektuell weiter entwickeln können.
Dank seines guten Rufes als Lehrer bekam Karma in zwei hervorragenden Tibetischen Schulen für alle unsere Schützlinge sofort einen Schulplatz:
An der Srongtsen Bhrikuti Boarding School und an der Namgyal Secondary Higher School in Kathmandu, nicht weit von unserem Hostel entfernt.
Da die Kinder im Dolpo nur während Sommers Schulunterricht habe, bedurfte und bedarf es für alle Neulinge in unserem Hostel eine intensive Vorbereitungs-Zeit, um mit dem hohen Niveau der weiterführenden Schulen hier mithalten zu können.
Bislang haben diesen schwierigen Einstieg alle Kinder und Jugendlichen geschafft!
Und noch viel, viel mehr …
17 Jahre sind nun vergangen seit der Gründung unseres Hostels, das mittlerweile Lehrer und Lehrerinnen, Krankenschwestern und Ärzte, Kräuter- und IT-Experten, Tourismusführer, Bankfachkräfte, SozialarbeiterInnen und sogar einen Yoga-Lehrer hervorgebracht hat!
Die meisten unserer 'Ex-Students' gehen für mindestens ein Jahr in ihr Heimatdorf zurück, um ihr erlerntes Wissen für ein Aufblühen dieser strukturschwachen Region einzubringen.
So gibt es mittlerweile eine Krankenstation in ihrem Heimatdorf, eine Zahnstation und sogar eine kleine Bank. Damit die Menschen aus dem Dolpo für ihre Geldgeschäfte nicht mehr einen tagelangen Weg in die Zivilisation antreten müssen.
Unsere allererste Shelter-108-Schülerin leitet heute ihr eigenes Kinder- und Jugend-Hostel in Kathmandu: Nyima Bhuti.
Ihr werdet sie in diesem Blog noch näher kennen lernen...
Als ich Nyima Bhuti vor 17 Jahren traf, war sie bereits ein sehr aufgewecktes Mädchen, das aber voller Begeisterung die Chance ergriffen hat, sich in Kathmandu weiter zu bilden. Heute ist sie eine beeindruckende junge Frau, Mutter eines eigenen Kindes und Hostel-Mutter von 30 Kindern ihres alten Heimat-Dorfes.
Nyima Bhuti heute wieder zu begegnen und sie so aufgeblüht und glücklich zu sehen, hat mich zutiefst bewegt.
Wenn wir uns entschließen, Menschen zu helfen, wird daraus stets so viel mehr!
Es scheint ein Gesetz des Lebens zu sein. Weil jeder Einzelne von ihnen die Liebe und Fürsorge, die wir ihnen gegeben haben, Hundertfach weiter trägt.
Bevor ich diese Zeilen an Euch absende, laufe ich noch mal schnell raus in die Nacht, um Euch eine Nachtaufnahme der großen Stupa von Boudhanat zu machen. Einer der ganz besonderen Orte auf diesem Planeten. Sie zu umrunden ist wie im Himmel spazieren zu gehen ...
Schlaft gut! Oder habt einen schönen Tag!
Danke, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, diese Zeilen zu lesen.
Morgen kommt ein erstes Foto von 'meinen' Children of Light (so nenne ich unsere Schützlinge)!
Danke an Michael Landwehr und Silvana Rückert von Shelter108 e.V. die mich von Deutschland aus unterstützen <3 <3 <3
Wer unsere ehrenamtliche Arbeit noch nicht kennt: Auf unserer Homepage von Shelter108 e.V. erfahrt Ihr mehr: https://www.shelter108.de
Möge allen Menschen auf Erden Glück und Segen Sein.
Eure Maria

Liebe Maria mein Name ist Agnes Hahn und ich freue mich immer wenn ich etwas vom Hostel lesen kann. Vielen Dank für deinen wunderbaren Blog.
Ich habe eines der ersten Mädchen aus dem Dolpo unterstützt, mittlerweile arbeitet sie in der Bank in Saldang. Ihr Name ist Sonam Sangmo. Ich glaube sie ist gerade in Kathmandu und macht ihren Masterabschluss. Falls sie ins Hostel kommt um dich zu sehen, würdest du ihr dann bitte meine allerherzlichsten Grüße ausrichten?
2011 war ich in Kathmandu und konnte auch Sonam Sangmo persönlich kennenlernen. Ich kenne auch Nyima Bhuti. Vielleicht erinnert sie sich auch. Wir haben damals meinen Geburtstag im Hostel gefeiert und Karma hat extra einen Kuchen geholt.
Leider musste ich aus finanziellen Gründen…
Liebe Maria, ich begleite dich mit meinem Herz ❤️ und der Liebe für unser Hostel!